Tabea Lurk über Sub_Trakt
‘Sub_Trakt’.

Eine interaktive Raum- und Klanginstallation
von Anne Niemetz und Holger Förterer


In Diskussionen um die stetige Dynamisierung gegenwärtiger Prozesse, das Implodieren von Raum und Zeit in einer hoch mediatisierten (Um-)Welt, oder auch um Phänomene des ‘rasenden Stillstands’ (Virilio), geraten häufig - paradoxerweise - die grundlegendsten Formen körperlicher Bewegung, Gehen oder Laufen, aus dem Blickfeld. Natürlich sind wir sinnlich wahrnehmende Wesen, aber wie bewußt ist uns diese Tatsache eigentlich im Alltag? Welche Auswirkungen haben automatisierte menschliche Aktivitäten auf uns und unsere Umwelt?
Anne Niemetz und Holger Förterer irritieren in der interaktiven Raum- und Klanginstallation Sub_Trakt diese sinnliche Unachtsamkeit, die wir gegenüber unserer körperlichen Verortung im Raum an den Tag legen.
Auf zwei getrennte räumliche Situationen verteilt, integrieren Niemetz/Förterer zunächst die Besucher direkt in die Installation: das konkrete Auslösen von Geräuschen motiviert die Benutzer zum Umhergehen, wodurch die Klangparameter modifiziert werden. In einem zweiten Bereich von Sub_Trakt werden die Besucher zu Betrachtern, die über das Beobachten der Bewegungen anderer Menschen oder Objekte zu prinzipielleren Reflexionen angeregt werden können: etwa über den Lauf der (geordneten) Dinge oder das Zusammenwirken von Raum und Zeit in aktuellen Ereignissen.

Dazu haben Niemetz/Förterer eine Videokamera über einer nach außen hin offenen, für das optische System jedoch klar definierten Bodenfläche installiert. So werden die räumlichen Zustände und Veränderungen der Passanten ermittelt.
1 Beim Durchschreiten dieser vom Tracking-System beobachteten Fläche löst der Besucher unmittelbar Geräusche aus. Die gemessenen Bewegungen modulieren ein akustisches Feedback, eine Art Klangkulisse, die örtliche Veränderungen interpretiert. So wird die (Selbst-)Vergessenheit des routinierten Umhergehens unterbrochen – vergegenwärtigt.
Im zweiten Teil von Sub_Trakt steigern Niemetz/Förterer verschiedentlich die Komplexität der Ursache-Wirkungs-Korrelation. Entbunden von der unmittelbaren Interaktion mit der Arbeit, sieht der Besucher zunächst eine animierte Projektion, die den getrackten Raum repräsentiert. Idealiter kann der Besucher aus dem Projektionsraum Blickkontakt zu dem ersten Bereich der Installation herstellen; dies unterstützt die Identifikation des projizierten Gebildes mit der beobachteten Besucherfläche außerhalb.

Der weiße Quader dieser Projektion erinnert an eine dick zugeschneite Schneelandschaft, die durch sich fortschreibende Schneisen zerfurcht wird. Auch wenn keine Menschen zu sehen sind, können die Vertiefungen mit Spuren im Schnee assoziiert werden. Nach einem Blick in den ersten Installationsraum können die Spuren schnell dem aktuellen Geschehen zugeordnet werden. Um die örtlich variierenden Ansichten des Raums zu repräsentieren, rotiert die virtuelle Landschaft konstant. Die gleichzeitig ertönenden Klänge unterscheiden sich von den Geräuschen im ersten Raum. Die akustische Kulisse erscheint ruhiger und deckt einen tieferen Frequenzbereich ab.
Nicht nur die Klangparameter sind verändert, sondern der gesamte Bezugsrahmen verschiebt sich: Die Bilder der Tracking-Kamera - im ersten Raum - werden zwar auch in diesem zweiten Bereich der Installation übertragen und bilden dort eine direkte Grundlage für die Projektion. Aber dabei werden sie optisch modifiziert, um eine scheinbar räumliche, sich langsamen verändernde Schneefläche zu bilden. Der unberührte weiße Block, das visuelle ‘Sub-strat’ der Projektion, verleiht der Spontaneität und Vergänglichkeit dynamischer Abläufe durch die Spuren Dauerhaftigkeit. Hierauf bezieht sich auch der Soundtrack: die Klänge korrelieren mit den visuellen Veränderungen im Schnee. Man könnte also von einer ‘Interpretation zweiter Ordnung’ sprechen.

Die Visualisierung – das Schneegebilde - operiert mit Virilios Begriff der ‘Antiform’. Der massive Block existiert nicht wirklich: was als Spur erscheint, ist das virtuelle Restbild von physischen Zuständen der Menschen im Raum. Dieses formale Invertieren von (Hohl-)Raum und räumlicher Präsenz motiviert den Betrachter, dem Raum zwischen den Dingen Aufmerksamkeit zu schenken. Dieser kann nur näherungsweise gedacht werden:

    „die Aktivität von Passanten wird in Punkte übertragen, die auf der Karte eine zusammenfassende und reversible Linie bilden. Es wird also nur noch ein Überrest wahrnehmbar, der in die Zeitlosigkeit einer Projektionsfläche versetzt wird. Die sichtbare Projektion macht gerade den Vorgang unsichtbar, der sie ermöglicht hat. Diese Aufzeichnung konstruiert die Arten des Vergessens. Die Spur [...] manifestiert die (unersättliche) Eigenart des geographischen Systems, Handeln in Lesbarkeit zu übertragen, wobei sie eine Art des In-der-Welt-seins in Vergessenheit geraten lässt.“ 2


Lediglich Certeaus Zeitverständnis muss mit Blick auf Sub_Trakt korrigiert werden: die Arbeit thematisiert durchaus Endlichkeit bzw. das Sich-Auflösen in der Zeit. Bereits der Titel impliziert ein Sich-Entziehen – der Wahrnehmung bzw. der Wahrnehmbarkeit.
3 Niemetz/Förterer lösen diese Problematik nicht schlicht durch Konservierung in virtuellen Bildern, sondern lassen die Spuren konstant innerhalb von vier Minuten zuwachsen. Damit bleibt die Installation nicht nur den Kategorien der Endlichkeit verhaftet, sondern paraphrasiert zeitlupenartig natürliche Vergänglichkeit.

Teilweise lassen sich die Personen in beiden Bereichen zu einer Art Quer-Interaktion inspirieren und organisieren das Verhalten der Projektion systematisch: sie versuchen dann, die Schneefläche völlig abzulaufen, oder vermeiden Bewegungen auf der beobachteten Fläche.
Diese Suche nach den beiden Polen der Installation, zwischen Ordnung und Chaos, mündet bei Sub_Trakt frappierenderweise grenzwertig in die Theorie des Rauschens. Akustisches (synthetisches) Rauschen bildet das klangliche Rohmaterial der Installation, das, durch die unterschiedlichen Formen der Bewegung modifiziert, hörbar wird. Indem Niemetz/Förterer in beiden Installationsteilen unterschiedliche Filter des ‘Rauschens’ einsetzen, decken sie ein breites Spektrum dieser Metaphorik ab. Rauschen entzieht sich ebenso der Wahrnehmung, wie das synchrone – aktuelle – Bewußtsein meiner eigenen physisch-körperlicher Präsenz in Raum und Zeit. Soll diese Lückenhaftigkeit der eigenen (Selbst-)Wahrnehmung nicht durch die (Re-)Konstruktion einer neutralen Beobachterdistanz kaschiert werden, kann Günter Altners Begriff der ‘Offenheit’ (Die Welt als offenes System...) kommentierend angeführt werden:

„Wenn alles, was ist, in der Zeit ist, so ersteigert im Fließen der Zeit eine Offenheit die nächste.
Zeit zeugt Zeit.
Wirklichkeit ist Werden und Wandel.“
4



Tabea Lurk

1 Technisch wird dieses videobasierte Verfahren zur Erfassung von Veränderungen im Raum als ‘Tracking’ bezeichnet; Tracking-Systeme ermitteln Bewegungsdaten, die in Form von interpretierbaren Impulsen an Folgesysteme weitergeleitet werden können.

2 Certeau, Michel de: Kunst des Handelns, S. 188f. Berlin 1988. Franz. Originalausgabe: L‘ invention du quotidien.1 Arts de faire, Union Générale d‘ Editions, Paris 1980.

3
Sub-tractus [Latein]: unter jemandem zurückweichen [PPP zu sub-trahere: unter etwas wegziehen].

4
Altner, Günter: Die Welt als offenes System. Eine Kontroverse um das Werk von Ilya Prigogine. S. 7. Frankfurt (a. M.) 1986.